Paul Schneider
- der Prediger von Buchenwald


Konzentrationslager Buchenwald. Ansicht des Eingangstores.

Es ist Ostersonntag. Pfarrer Paul Schneider steht am Fenster seiner Zelle. Mit lauter Stimme predigt er auf den Gefängnishof hinab; dann krachen die Prügel der Bunkerwärter auf ihn nieder. Ums Überleben geht es ihm nicht. Er hat den vom Tod gezeichneten Menschen hier etwas zu sagen: "So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben!" (vgl. Joh 11,25) – das ist seine Botschaft. Auch an diesem Tag.

Seit April 1938 ruft er immer wieder leidenschaftliche Anklagen und Trostworte aus seiner Einzelzelle über den Appellplatz im Konzentrationslager Buchenwald, bis ihn die Schläge zum Verstummen zwingen. "Ich weiß, warum ich hier bin", sagt er zu einem Kameraden. Mit Einzelarrest, Postsperre, Essensentzug und Folter wird er bestraft. Mehrmals ist er rund 14 Tage lang ununterbrochen an die Dampfheizung gefesselt. Er wird in eine Zelle ohne Licht und ohne Schlafmöglichkeit gesperrt, wo auch noch die Angst- und Leidensschreie aus den nebenliegenden Zellen auf ihn eindringen. Ihn vom Vertrauen auf seinen Gott abzubringen – das gelingt trotzdem nicht! Am 18. Oktober 1938 notiert er: "Es darf ja nicht schwerer kommen, als wir tragen können, diese Zusage haben wir. Für alles, auch für unser eigenes Reifen und Wachsen, weiß Gott allein die rechte Zeit."

Schon in seiner Studentenzeit ging Pauls Eifer für die Wahrheit bis zum Äußersten. Er wäre deshalb sogar bereit gewesen, Freundschaften zu opfern, schrieb ein Studienfreund. Als junger Mann vermerkte er in seinem Tagebuch: "So bleibt mir also nur, mein Leben ganz auf Gott, den Übervernünftigen und Wunderbaren, Allmächtigen und Grundgütigen zu legen. Von ihm will ich mir sagen lassen, was ich zu tun, wie ich zu leben habe; und auf alle eigenen Maßstäbe verzichten. Herr Gott, zeige du mir mein Ziel, das Ziel meines Lebens und meiner Arbeit! Für dieses Ziel gilt es dann alle Kräfte einzusetzen, ihm dienstbar zu machen, und so manches jetzt so Dunkle muß dann licht werden. Diese befreiende Ausschau schenke mir, mein Gott und Vater!"


Schriftzug im Eingangstor des Lagers: "Jedem das seine"
- Eine Mischung aus Menschenverachtung un Zynismus.

 

 

Vom Sommer 1935 berichtet ein Bekannter: "Auf dem Rückweg [von einem Ausflug] benutzte ich einen Augenblick, als wir allein waren, ihn inständig zu bitten, doch jedes Ärgernis zu meiden. Auf meine Bitten meinte er, er könne allerdings nur versprechen, sich nicht zu einem Martyrium zu drängen; wo immer aber er zu einem Zeugnis aufgerufen würde, könne er nicht anders als bezeugen, daß es auf Erden kein anderes Heil gebe als allein in Jesus Christ."

Jetzt ist Paul Schneider im KZ Buchenwald. Was ist der Grund? Er hat die von den Nationalsozialisten veranlaßte Ausweisung aus seiner Gemeinde nicht akzeptiert. Täte er dies, so würde er freikommen. Warum tut er es nicht? "Der Mietling aber und der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht; und der Wolf raubt sie und zerstreut die Schafe. Der Mietling aber flieht, weil er ein Mietling ist und sich nicht um die Schafe kümmert" (Joh 10,12.13), so seine Begründung.

Nicht zuletzt durch die Folter verschlechtert sich sein körperlicher Zustand immer mehr. "Im Sommer 1939 bekam ich Paul Schneider zum erstenmal aus nächster Nähe zu Gesicht ... Welch ein Anblick! ... Der Körper abgemagert zum Skelett, die Arme unförmig geschwollen, an den Handgelenken blaurote, grüne und blutige Einschnürungen ... Wie war es möglich, daß dieser Mensch noch lebte?" so Walter Poller, der Schreiber des Lagerarztes.

"Möchten wir nur auch lernen und reifen an dem, was uns aufgegeben wird, und überwinden", schreibt Paul Schneider am 3. Juli 1939 in einem Brief an seine Frau. Es ist sein letzter. Da er nicht zu beugen ist, wird er am 18. Juli 1939 ermordet – durch Einspritzen einer Überdosis Strophanthin. Am 27. November 1937 war er eingeliefert worden. 14 Monate hatte er in Einzelhaft verbracht.

"Auf Pauls Gesicht lag der Friede und die Hoheit der Erlösten. Ich durfte Paul in diesem Augenblick mit den Augen des Glaubens sehen", sagte seine Witwe, die den Toten im Konzentrationslager sehen durfte, bevor der Sarg versiegelt wurde. Heute sagt sie, 93jährig: "Er war dazu ausersehen, das Evangelium zu verkündigen zu Zeit und Unzeit. Und das ist seit damals mein Trost."

"Für uns aber ist dies Zeugnis Paul Schneiders ein einziger Ruf in die Nachfolge des Gekreuzigten." "Wir alle, alle machen Kompromisse über Kompromisse, und es hat zwischen uns jemand gegeben, der nur treu sein wollte, treu seinem Herrn, treu seinem Glauben!" So zwei Stimmen zur Erinnerung an Paul Schneider, den "Prediger von Buchenwald", der in seiner Zelle stand und so lange durch das vergitterte Fenster Worte des Lebens rief, bis seine Stimme erstarb.


Das Krematorium des Konzentrationslagers Buchenwald.


Jochen Klein

Aus der Zeitschrift " Folge mir nach ", Heft 8, 1997, S. 28 - 30.

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