KAPITEL 14

Es ist also vor allem wichtig, nach der Liebe zu trachten, wie auch der Apostel hier in Vers 1 aus­drücklich ermahnt, weil sie das höchste und blei­bende Gut ist; aber außerdem ist es auch vor Gott wohlgefällig, um die geistlichen Gaben zu eifern; vor allem um solche, die das Wohl aller im Auge haben und die zur Erbauung der Versammlung die­nen. Die Liebe verlangt darnach, weil sie weiß, dass der Herr wünscht, dass Seine Versammlung in Gnade und Erkenntnis wachsen möge. Ein Christ, der wirklich den Herrn liebt, wird nicht zufrieden sein, die Erbauung der Versammlung allein durch andere besorgt zu sehen, sondern wird selbst mit Einfalt nach solchen Gaben trachten, die jene Erbauung fördern. Es ist aber völlig verwerflich vor Gott, bei jenem Trachten an sich selbst zu denken und nicht allein an das Wohl der Versammlung.

Wer in einer fremden Sprache redete, redete nicht den Menschen, sondern Gott (Vers 2). Niemand verstand ihn, und deshalb konnte auch niemand erbaut werden; vielleicht verstand er sich selbst nicht einmal. (Vergl. Vers 13.) Er war das Organ des Geistes und genoss lediglich, dass er mit Gott in Gemeinschaft war und Worte Gottes zur eigenen Erbauung sprach; aber diese Aussprüche hatten kei­nerlei Nutzen für andere; nur für sich selbst redete er im Geiste Geheimnisse. «Wer aber weissagt, redet den Menschen zur Erbauung und Ermahnung und zur Tröstung» (Vers 3). Die Weissagung oder Prophezeiung ist nicht nur die Vorhersagung zukünftiger Dinge, sondern auch die Mitteilung der Gedanken Gottes durch den, der mit Gott in Gemeinschaft ist. Durch diese Mitteilung wird die Ver­sammlung erbaut, während der in Sprachen Redende sich selbst erbaute (Vers 4). Die Gabe der Prophe­zeiung oder Weissagung war also weit wichtiger als die, in fremden Sprachen zu reden; weshalb auch der Apostel in Vers 5 sagt: «Ich wollte aber, dass ihr alle in Sprachen redetet, vielmehr aber, dass ihr weissagtet. Wer aber weissagt, ist größer, als wer in Sprachen redet, es sei denn, dass er es aus­lege, auf dass die Versammlung Erbauung emp­fange.» Das war ein beschämendes Wort für den Hochmut der Korinther, die, wie schon früher er­wähnt, auf das Reden in fremden Sprachen einen so großen Wert legten und gleich Kindern damit zu glänzen suchten. Der Wille Gottes aber ist die Er­bauung der Versammlung; und darum verdienen jene Gaben stets den Vorzug, durch welche diese gefördert wird; das Reden in fremden Sprachen aber hatte nur insoweit Wert für die Versammlung, als es durch Auslegung diesem Zwecke dienen konnte.

«Nun aber, Brüder», fährt der Apostel fort, «wenn ich zu euch komme und in Sprachen rede, was werde ich euch nützen, wenn ich nicht zu euch rede, entweder in Offenbarung oder in Erkenntnis oder in Weissagung oder in Lehre?» (Vers 6). Unter «Offenbarung» ist hier namentlich die Mitteilung von bisher verborgenen Wahrheiten verstanden, während die «Weissagung» mehr darin besteht, die schon offenbarten Wahrheiten auf Herz und Gewissen anzuwenden. «Erkenntnis und Lehre» be­zeichnen das Verständnis der offenbarten Wahr­heit und deren Auslegung. Die Gabe der Lehre dient mehr zur Erbauung derer, die geistlich sind, während durch die Weissagung auch solche Erbau­ung finden, die es weniger sind; ihr Gewissen wird durch die Kraft des Wortes angefasst und beurteilt.

Alle die hier genannten Gaben haben einfach die Er­bauung zum Zweck. Das Reden in fremden Sprachen glich einer Pfeife oder Harfe, die aber keine unterschiedlichen Töne geben, oder einer Posaune, die einen undeutlichen Ton hervorbringt. Niemand ist imstande, die Bedeutung jener Töne zu verstehen, und niemand in einem Heere wird sich bei solch einem undeutlichen Posaunenton zum Kampfe rü­sten; ebenso wenig kann man auch wissen, was ge­redet ist, wenn man nicht durch die Sprache eine verständliche Rede gibt; man wird in die Luft re­den (Vers 7—9). Es gibt verschiedene Arten von Stimmen oder Sprachen in der Welt, und jede hat den Zweck, sich dem Hörenden verständlich zu ma­chen. «Wenn ich nun», sagt der Apostel, «die Be­deutung der Stimme nicht weiß, so werde ich dem Redenden ein Barbar sein, und der Redende wird mir ein Barbar sein» (Vers 11).

Der Apostel ermahnt deshalb die Korinther, wel­che Eiferer um Geistesgaben waren, ihren Eifer für eine reichliche Bedienung zur Erbauung der Versamm­lung zu benutzen (Vers 12); und wenn sie in einer fremden Sprache redeten, so sollten sie um Aus­legung bitten, damit auch dieses zur Erbauung der übrigen gereichte (Vers 13). Das Wachstum der Versammlung sollte bei Ausübung aller Gaben der erste und vornehmste Zweck bleiben. Er wehrte ihnen nicht, im Geiste zu beten, zu lobsingen und zu danksagen; aber sie sollten es auch zugleich mit dem Verstande tun, d.h. auf eine verständliche Weise, damit alle erbaut würden und auch die Unkundigen auf die Danksagung «Amen» sprechen könnten (Verse 11 17). Es liegt in dieser einfachen und ausführlichen Darstellung zugleich eine ernste Ermahnung für die Christen aller Zeiten. Allerdings ist keine Gefahr mehr vorhanden durch die Gabe, in fremden Sprachen zu reden und sich selbst zu suchen, weil diese Gabe nicht mehr da ist, aber es kann doch auf andere Weise geschehen und zwar dadurch, dass man versucht dieselbe nachzuahmen. Jeder Dienst ist aber nutzlos, wenn er sich selbst sucht und nicht die Erbauung der Versammlung zum Zweck hat.

Wenn der Apostel bei den Korinthern so sehr auf eine verständliche Rede in der Versammlung drang, so geschah es nicht aus Eifersucht; denn er sagte: «Ich danke Gott, ich rede mehr in einer Sprache als ihr alle. Aber in der Versammlung will ich lieber fünf Worte reden mit meinem Verstand, auf dass ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in einer Sprache» (Verse 18. 19). Der Apo­stel schenkte jener Gabe alle Beachtung, denn sie kam von Gott und war ein besonderer Beweis Seiner Macht und Seiner Gegenwart in der Versammlung; aber er war erhaben über alle fleisch­liche Eitelkeit und über die Bewunderung anderer beim Anschauen dieser Gabe. Sein einziger Wunsch war, andern zu dienen, die Versammlung zu er­bauen, und nicht, um vor jenen zu glänzen. Die Liebe und Selbstverleugnung, wozu er seine Brüder ermunterte, wurde bei ihm selbst gefunden; und mit großem Ernst ruft er den Korinthern zu: « Brüder! seid nicht Kinder am Verständnis, sondern an der Bosheit seid Unmündige, am Verständnis aber seid Erwachsene» (Vers 20). Zu prahlen und groß zu tun mit dem, was glänzte, und das Nützliche dadurch zu vernachlässigen, war in der Tat kin­disch. Kinder zu sein war sehr gut, aber an der Bos­heit, d.h. sie nicht kennend und nicht ausübend, an Verständnis aber bewandert und vertraut.

Der Apostel führt nun noch einen andern Beweis an, um den Korinthern zu zeigen, dass sie keine Ur­sache hatten, so sehr nach dem Reden in fremden Sprachen zu haschen und sich darin zu gefallen. Dieses Reden war durch den Propheten Jesaja (Kap. 28, 11. 12) als ein Gericht für Israel angekündigt und deshalb keine so sehr wünschenswerte Sache (Vers 21). Es war kein Zeichen für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen, es war nicht von Gott gegeben, um in der Versammlung zu ihrer Erbauung benutzt zu werden, sondern um die Ungläubigen von der Macht und Gegenwart Gottes zu überzeu­gen, wie es am Pfingsttage in Jerusalem geschah, wo ein jeder die Apostel in seiner eigenen Mundart reden hörte. Gott wird zu Seinem Volke in dessen eigener Sprache reden; wenn Er es aber in einer fremden tut, so ist das, wie auch aus obiger Stelle deutlich hervorgeht, ein Beweis Seiner Unzufrieden­heit.

In den nächstfolgenden Versen kommt der Apo­stel noch einmal auf diesen Gegenstand zurück. Wir sehen hier, dass die Ungläubigen, obgleich von der Versammlung getrennt, doch völlige Freiheit hatten, dieselbe zu besuchen und das Wort anzuhören. Wenn nun ein solcher hineinkam und hörte alle in fremden Sprachen reden, wovon er kein Wort ver­stand, so musste er denken, dass sie von Sinnen wä­ren; wenn er sie aber alle weissagen, d.h. in ver­ständlicher Sprache zur Erbauung reden hörte, dann wurde er in seinem Gewissen überführt und von allen beurteilt und dadurch genötigt, auf sein Ange­sicht niederzufallen und Gott anzubeten, und zu bekennen, dass Gott wirklich in ihrer Mitte war (Verse 23–25). Es war also die Ausübung der Gabe in der Versammlung, sowohl für diese als auch für die ungläubigen Zuhörer, von großem Nutzen, während das Reden in fremden Sprachen für alle nutzlos war, wenn es nicht zugleich aus­gelegt wurde.

Jetzt geht nun der Apostel in Verbindung mit dem Vorhergehenden dazu über, die Gedanken Gottes bezüglich der Ordnung und der Ausübung der Gaben bei den Zusammenkünften der Gläu­bigen oder der Versammlung mitzuteilen. In der Versammlung zu Korinth waren viele Gaben, was der Apostel selbst in Kap. 1, 4–7 bezeugt. Durch diese aber, indem die Herzen der Korinther mit Selbstgefälligkeit erfüllt waren, wurde in der Ver­sammlung Verwirrung hervorgerufen. Jeder wollte vor dem andern sprechen, und die Folge davon war, dass oft mehrere zusammen sprachen. Gegen diesen Missbrauch warnt nun der Apostel mit großem Ernst: «Was ist es nun, Brüder? Wenn ihr zusam­menkommt, so hat ein jeder von euch einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Sprache, hat eine Offen­barung, hat eine Auslegung; alles geschehe zur Er­bauung» (Vers 26). Der Apostel tadelt nicht, dass ein jeder, wenn sie versammelt waren, etwas mitzu­teilen hatte; aber er tadelt es, wenn einer vor dem andern sprechen wollte und dadurch Unordnung entstand.

Die Freiheit der Gaben wird hier völlig aner­kannt, und durch diese Stelle auf eine deutliche Weise bestätigt; aber der Heilige Geist erlaubt nicht, dass diese Freiheit in Zügellosigkeit ausarte und die Ordnung Gottes beiseite gesetzt werde. Ein jeder ist vollkommen frei, das in der Versammlung zu re­den, was der Geist ihm zu reden gibt; nur muss es in einer bestimmten Ordnung geschehen. Wenn je­mand in Sprachen redete, so musste ein Erklärer oder Ausleger da sein, damit die Versammlung er­baut wurde. Auch war es nicht gut, dass bei einer Zusammenkunft mehr als zwei oder drei in Sprachen redeten; wenn aber der Ausleger fehlte, dann sollte in der Versammlung keiner von dieser Gabe Gebrauch machen (Verse 27. 28). Ebenso konnten nacheinander zwei oder drei Propheten reden und die übrigen über das Gesagte urteilen (Vers 29). Wenn aber einem andern etwas geoffenbart wurde, so sollte der erste schweigen; «denn», sagt der Apo­stel, «ihr könnt einer nach dem andern alle weis­sagen, auf dass alle lernen und alle getröstet werden. Und die Geister der Propheten sind den Propheten untertan» (Verse 31. 32). Wir haben hier zwei wichtige Grundsätze die völlige, aber ordnungs­mäßige Freiheit der Gaben, und die Untertänigkeit der Geister der Propheten, d.h. die Wirksamkeit und die Ausübung der Gaben stand unter Leitung und Autorität derer, denen die Gaben durch den Heiligen Geist gegeben waren. Wenn die Unord­nung der Korinther sich darin zeigte, dass oft meh­rere zu gleicher Zeit sprachen, so besteht die Un­ordnung heutzutage meist darin, dass die Freiheit der Ausübung der Gaben ganz und gar beschränkt wird, indem man oft die ganze Erbauung der Ver­sammlung einem einzigen überträgt. Ebenso wider­spricht der 32. Vers allen Schwärmern, welche vor­geben, nicht schweigen zu können, weil sie von einer unwiderstehlichen Gewalt fortgerissen wurden. Die Propheten waren bei der Ausübung der Gaben Herr über sich selbst; sie waren keine machtlosen Werkzeuge einer wilden und unnüchternen Begei­sterung, wie dies bei den armen Heiden der Fall war, die gänzlich unter der Leitung und dem Einfluss ihrer Dämonen standen. «Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens, wie in allen Ver­sammlungen der Heiligen» (Vers 33). Es ist sehr bewunderungswürdig und wird alle einfältigen und auf­richtigen Seelen mit Lob und Dank erfüllen, hier die Treue und Fürsorge unseres Gottes zu sehen, Der uns selbst bis auf die geringsten Einzelhei­ten die Ordnung vorschreibt, wie sie in der Versammlung gehandhabt werden soll. Bei der völligen Freiheit bezüglich der Ausübung der Gaben und der freien Wirksamkeit des Geistes, haben wir uns dieser Ordnung zu unterwerfen; denn es ist die Ordnung Gottes. Jede Abweichung von derselben ist Unordnung. Mag man auch ein noch so schönes System von Ordnung einführen, um den in Korinth entstandenen Übeln vorzubeugen; mag man z. B. allen in der Versammlung Schweigen auferlegen und nur einem einzigen die Macht zu reden geben, mag man Leiter und Vorsitzende wählen und andere dergleichen Dinge tun, wodurch sich dem Auge der Menschen oft die schönste Ordnung darstellt — das Auge Gottes sieht darin nur eine Zerstörung Seiner Ordnung, eine Untergrabung der Freiheit in der Ausübung der Gaben, die der Heilige Geist zur Erbauung Seiner Gemeinde gegeben hat. Mögen wir aber auch wohl beherzigen, dass wir für beides ver­antwortlich sind, sowohl für die Aufrechterhaltung der von Gott festgestellten Ordnung in der Versammlung, als auch dafür, dass wir die empfangenen Gaben zu Seiner Verherrlichung und zum Besten anderer, namentlich zum Nutzen der Versammlung ausüben.

In bezug auf die Frauen sagt der Apostel einfach: «Eure Weiber sollen schweigen in den Versamm­lungen, denn es ist ihnen nicht erlaubt zu reden, sondern unterwürfig zu sein, wie auch das Gesetz sagt. Wenn sie aber etwas lernen wollen, so sollen sie daheim ihre eigenen Männer fragen, denn es ist schändlich für ein Weib, in der Versammlung zu reden» (Vers 34. 35). Das Verhalten der Frauen soll stets, und namentlich in der Versammlung, den Charakter der Bescheidenheit und der Zurückgezogenheit an sich tragen und sich vor allem durch Unterwürfigkeit auszeichnen. Wenn die Schwestern unter der Leitung des Heiligen Geistes stehen, wer­den sie erkennen, dass dies des Herrn Gebot ist.

Das bisherige Auftreten und Verhalten vieler in der Versammlung zu Korinth ließ befürchten, dass sie sich weigern würden, den verschiedenen Anordnun­gen sich zu unterwerfen, und deshalb fragt der Apostel: «Ist das Wort Gottes von euch ausgegan­gen, oder ist es zu euch allein gelangt?» (Vers 36). Beides mussten sie verneinen, so groß auch ihre Ga­ben sein mochten, und sie hatten sich deshalb der allgemeinen Ordnung in der Versammlung zu un­terwerfen. Wenn sie vorgaben, durch den Heiligen Geist geleitet zu werden, so war gerade die Anerkennung dessen, was Paulus schrieb, der beste Be­weis dafür (Vers 37). Er schrieb durch den Heiligen Geist; seine Anordnungen waren vom Herrn; und wenn jemand sie nicht befolgte, so verwarf er nicht eines Menschen, sondern Gottes Wort. Erkannte man aber nicht, dass der Apostel durch den Geist schrieb, oder glaubte man es nicht, so war nicht zu helfen, man musste in seiner Unwissenheit bleiben (Vers 38). Der geistliche und einfältige Christ aber erkennt es; er ist überzeugt, dass diese Anordnun­gen des Apostels direkt von Gott gekommen und der Ausdruck der Weisheit Gottes sind. Er wird willig seine eigenen Gedanken fahren lassen und sich völlig den Gedanken Gottes unterwerfen und seine Wege nach der Offenbarung der Weis­heit Gottes einrichten. Zu gleicher Zeit sind die Worte des Apostels hier von großer Wichtigkeit für die göttliche Eingebung seiner Briefe. Er erklärt ganz bestimmt, dass es die «Gebote des Herrn» seien, die er mitteilte. Alles, was er hier also bezüg­lich der Ordnung in der Versammlung vorschreibt, ist durch den Heiligen Geist und nach dem aus­drücklichen Willen Gottes, und niemand hat das Recht, davon abzuweichen und etwa zu sagen «Das gilt nur für jene Zeit». Solange nicht gezeigt wer­den kann, dass die hier gegebenen Anordnungen durch eine spätere Offenbarung des Geistes aufge­hoben oder verändert sind, sind wir schuldig, uns ihnen in Einfalt und Gehorsam zu unterwerfen. «Alles geschehe anständig und in Ordnung» (Vers 40). Dies bleibt des Apostels ernste Ermahnung; aber er denkt nicht an eine menschliche, sondern nur an die göttliche Ordnung.