A. Allgemeine Einleitung. Kapitel 1, 1 – 17.

1. Anschrift des Briefes — Die apostolische Autorität des Paulus (Verse 1 – 7).

"Paulus, Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, abgesondert zum Evangelium Gottes, (welches Er durch Seine Propheten in heiligen Schriften zuvor verheißen hat) über Seinen Sohn, (der aus dem Samen Davids gekommen ist dem FIeische nach, und als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach, durch Toten - Auferstehung) Jesus Christus, unseren Herrn (durch welchen wir Gnade und Apostelamt empfangen haben für Seinen Namen zum Glaubensgehorsam unter allen Nationen, unter welchen auch ihr seid, Berufene Jesu Christi) —allen Geliebten Gottes, berufenen Heiligen, die in Rom sind Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!" (Verse 1 – 7).

Der herrliche Anfang dieses kostbaren Briefes ist etliche Male durch Zwischensätze unterbrochen, aber jeder ist reich an Trost und an Belehrung! Lasst uns die Einzelheiten etwas näher betrachten!

Der Apostel stellt in keinem seiner übrigen Briefe sein apostolisches Amt auf eine solch feste Grund­lage, wie in dem vorliegenden. Dies geschah wohl deshalb, weil die Versammlung in Rom nicht durch seine Wirksamkeit entstanden war und er infolge­dessen keine Autorität auf die dortigen Christen ausüben konnte; denn wiewohl er dort verschiedene Heilige persönlich kannte, so war er doch selber nie in Rom gewesen. Dennoch war er auch ihr Apo­stel, weil er der Apostel der Nationen war. Er war der Nationen Schuldner. Er schrieb ihnen, weil er vom Herrn eine Mission an alle Nationen empfan­gen hatte. Die Christen zu Rom gehörten also auch in sein Arbeitsfeld. Ihm war es anvertraut, sie als "ein Opfer, geheiligt durch den Heiligen Geist, Gott darzustellen" (Kap. 15, 16). Gott wirkte in Macht durch Petrus unter den Juden; aber Paulus wurde zu den Nationen gesandt und als solcher von den zwölf übrigen Aposteln anerkannt (Gal. 2, 7 – 9). Er war deshalb vollkommen berechtigt, der Ver­sammlung in Rom einen Brief zu schreiben, nicht nur, weil er ein Diener Christi war — dies waren viele außer ihm —sondern weil er ein "berufener Apostel war, abgesondert zum Evangelium Gottes" (Vers 1). Seine Berufung geschah auf dem Wege nach Damaskus durch den verherrlichten Christus selbst (Apg. 9) und seine Absonderung zu die­sem Dienste in Antiochien durch die Autorität des Heiligen Geistes (Apg. 13, 2). Der Gegenstand seines Dienstes, wozu er berufen war, war das "Evangelium Gottes über Seinen Sohn". Es ist das Evangelium Gottes; weil es von Gott selbst ausge­gangen ist, weil Seine eigenen Gedanken darin ge­offenbart werden. Dieses Evangelium hat Gott "zu­vor durch Seine Propheten in den Heiligen Schriften verheißen" (Vers 2), und dies zeigt uns die Verbindung des Alten Testaments mit dem Evange­lium. Es ist hierbei wohl zu bemerken, dass dieses Evangelium von Gott durch die Heiligen Schriften noch nicht ans Licht gebracht und den Menschen noch nicht verkündigt, sondern nur als eine kom­mende Sache zuvor verheißen war. Die Versammlung (Gemeinde) selbst war nicht angekündigt; sie war in Gott verborgen. (Siehe Eph. 3; Kol. 1, 24 — 29.) Das Evangelium aber war verheißen.

Der kostbare Gegenstand dieses Evangeliums ist der Sohn Gottes — "das Evangelium Gottes über Seinen Sohn" (Vers 3), Jesus, der das Werk der Erlösung vollbracht hat, ist selbst der wahre Ge­genstand dieses Evangeliums. In Vers 2 und 3 wird Er uns in doppelter Beziehung vorgestellt. Zuerst ist Er der Gegenstand und Erfüller der Verheißun­gen — "der Samen Davids dem Fleische nach", und dann "der Sohn Gottes in Kraft dem Geiste der Heiligkeit nach."

"Der dem Fleische nach, gekommen ist aus dem Samen Davids, und als Sohn Gottes in Kraft erwie­sen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Toten - Auferstehung" (Vers 3 und 4). Betrachten wir zu­nächst die beiden einander gegenüberstehenden Wörter "gekommen" und "erwiesen". Er war der Sohn Gottes, und dies ist vollkommen erwiesen in Seiner Auferstehung aus den Toten. Er kam aber im Fleisch, wie geschrieben steht "Das Wort ward Fleisch" (Joh. 1, 14). Dies will einfach sagen Er wurde wahrer Mensch — der zweite Adam. Er hatte in keiner Weise teil an unserer verdorbenen, sündigen Natur, wie dies eine viel verbreitete Irr­lehre behauptet, wodurch unsere Erlösung ganz und gar in Frage gestellt wäre. Aber Er ward Fleisch. Die Kraft des Höchsten hat Maria überschattet, und was aus ihr geboren wurde, war "das Heilige", der Sohn Gottes (Lukas l, 35). Jesus war der zweite Mensch, der letzte Adam – das Haupt der neuen Schöpfung. Er war der Herr vom Himmel und kam, um der Erfüller der Verheißungen Gottes sein zu können, aus dem Geschlecht Davids.

Die Totenauferstehung ist der große und öf­fentliche Beweis, dass Christus der Sohn Gottes ist. Die geistliche Kraft, die in vollkommener Heilig­keit sich während Seines ganzen Lebens in Ihm offenbarte, wurde in der Auferstehung in vollkommener Kraft geoffenbart. In der Auferstehung also handelt es sich nicht um Verheißungen, sondern um Kraft. Es handelt sich hier um Den, der sich in einen Kampf begab mit dem Tode, der den Men­schen gefangen hielt. Jesus hat den Tod vollkom­men überwunden. Durch Seine eigene und dann durch die Toten-Auferstehung im allgemeinen ist erwiesen, dass Er der Sohn Gottes ist.

Das Evangelium ist das Evangelium Gottes; aber durch Jesus Christus, den Herrn, hatte Paulus "Gnade und Apostelamt empfangen" (Vers 5). Christus war das Haupt, und Er sandte die Arbeiter in Seine Ernte, um in der Welt zu wirken. Die Gnade bezieht sich hier weniger auf die persönliche Errettung des Paulus, als vielmehr auf seinen Dienst, der ihm aus Gnaden anvertraut war. Gnade kennzeichnet den wahren Charakter des Dienstes und dessen Ausübung. Paulus war durch Gnade der Träger dieser Gnadenbotschaft, die ihre ganze Kraft an verlorenen Sündern ausübt und die unermesslichen Reichtümer Gottes den Glaubenden umsonst darreicht. Der Gegenstand und die Tragweite der Mission des Apostels war "der Glaubens-Gehorsam unter allen Nationen" — nicht "der Gesetzes-Ge­horsam", der die Verantwortlichkeit Israels war. Zugleich wird uns gesagt, dass es für den Namen Jesu war, um die Autorität und den Wert dieses Namens zu bestätigen, der allgemein anerkannt werden soll.

Unter diesen Nationen waren auch die Gläubi­gen zu Rom "Berufene Jesu Christi" (Vers 6). Der Apostel richtet seinen Brief an alle Gläubigen in dieser großen Stadt. Er nennt sie "Geliebte Gottes und berufene Heilige"; das ist ihr Charakter. Sie sind Heilige – nicht durch Geburt, noch durch ze­remonielle Einsetzungen, sondern durch "göttliche Berufung". Der Jude gehörte, im Gegensatz zu den Nationen, schon durch seine Geburt zu dem aus­erwählten Volke; die Christen aber sind "Heilige durch die Berufung Jesu Christi" und sind "Geliebte Gottes" (Vers 7).

Der Apostel wünscht ihnen "Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus" (Vers 7). Von Ihm geht seine gesegnete Botschaft aus. In seinem Evangelium und in seinem Herzen brachte er die vollkommene Gnade Gottes durch Christus und den vollkommenen Frieden des Menschen mit Gott, sowie auch den Frieden Gottes selbst. Das ist der Grund, auf den das Christentum den Menschen stellt; das sind die wahren und ge­segneten Beziehungen Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott, die das Evangelium offen­bart und mitteilt.

Wenn der Apostel an einzelne schreibt, so fügt er seinem Gruß noch das Wort "Barmherzigkeit" hinzu. Alsdann wird die persönliche Schwachheit und Gebrechlichkeit in Betracht gezogen. (Vergl. 1. und 2. Timotheus.) Sobald aber die Gläubigen als Versammlung betrachtet werden, sind sie in Christo ohne Flecken noch Runzel, heilig und un­tadelig, so wie Gott sie sieht.

2. Paulus wünscht die frohe Botschaft auch in Rom zu verkündigen (Verse 8—17).

Der Glaube der Römer wurde in der ganzen da­maligen Welt verkündigt (Vers 8). Die Ursache, dass ihr Glaube so allgemein bekannt war, lag wohl hauptsächlich in der Verfolgung, die unter dem Kai­ser Claudius ausbrach (Apostelg. 18) und wodurch viele Christen aus Rom vertrieben wurden. Es hatte sich also ihr Glaube bewährt, und dies erweckte in dem Herzen des Apostels den innigsten Dank ge­gen Gott. Paulus ist nicht nur durch seinen Dienst, sondern auch mit seinem ganzen Herzen mit die­sem Werke der Gnade verbunden. Erfüllt von der Liebe Gottes, erfreut er sich der Wirksamkeit und Ausbreitung dieser Gnade und dankt Gott, der die alleinige Quelle derselben ist. Er diente "in seinem Geist in dem Evangelium Seines Sohnes" (Vers 9). Sein Dienen geschah in Gemeinschaft mit der Quelle, worin der Dienst selbst seinen Ursprung hatte. Sein "unablässiges Gebet" beweist, wie innig und ununterbrochen seine Gemeinschaft mit dieser Quelle war. Und es kann auch in Wahrheit unser Dienst, ja unser ganzer Wandel hienieden, nicht anders gesegnet sein, als wenn er aus der Gemein­schaft mit Gott fließt.

In den folgenden Versen drückt der Apostel sein sehnliches Verlangen aus, die Gläubigen in Rom zu sehen. Dieses Verlangen war nicht neu, sondern war fortwährend in seinen Gebeten vor Gott kundge­worden (Vers 10). Zugleich offenbarte er hier seine brüderliche Verwandtschaft mit ihnen, und zwar mit einem Zartgefühl, das nur der Gnade und Liebe eigen ist. Er verlangt nach ihnen mit der herzlich­sten und innigsten Liebe, um ihnen "etwas geistliche Gnadengabe mitzuteilen", wozu ihn sein Apo­stelamt befähigte (Vers 11), und dies wollte er deshalb tun, damit er selbst und auch sie von dem gemeinschaftlichen Glauben, durch die Mitteilung dieser Gnadengabe gekräftigt, zusammen genießen, zusammen getröstet sein möchten (Vers 12). Ja, wel­ches Zartgefühl und welche Liebe legt er in diesen wenigen Worten an den Tag! Er ist ein berufener Apostel unter allen Nationen, wenn er sie auch nicht gesehen hat; aber in seinem Herzen ist er ihr Knecht. Er hat sich oft vorgesetzt, zu ihnen zu kommen, damit er auch in diesem, von Gott ihm an­gewiesenen Arbeitsfeld, einige Frucht haben möchte (Vers 13). Er erklärt, dass er allen Nationen ein Schuldner sei, und dass er, soviel an ihm liege, völ­lig bereitwillig sei, auch denen in Rom das Evan­gelium zu predigen (Vers 14. 15). Diese Bereitwilligkeit hatte ihren Grund sowohl in der völligen Hingabe des Apostels, als auch besonders in dem Bewusstsein des kostbaren Wertes des Evangeliums, dessen Träger er war. Doch wie wunderbar war der Weg, auf dem das Gebet und das Verlangen des Apostels, nach Rom zu kommen, erfüllt wurde! Er kam erst am Ende seiner Laufbahn dorthin, und zwar als Gefangener. Gewiss, wunderbar sind die Wege Gottes!

Wie schon bemerkt, hatte die Bereitwilligkeit des Apostels, auch denen in Rom das Evangelium zu verkündigen, ihren Grund darin, weil er den kost­baren Wert der Gnadenbotschaft erkannt und er­fahren hatte. Dies finden wir namentlich in den Worten ausgedrückt "Ich schäme mich des Evan­geliums nicht, denn es ist Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden" (Vers 16). Paulus erkannte das Evangelium als die Kraft Gottes, und deshalb schämte er sich desselben nicht — selbst nicht, um es in der großen Weltstadt Rom zu verkündigen.

Das Evangelium ist die Kraft Gottes zum Heil jedem Glaubenden. Alle sind verloren, sowohl Ju­den als Griechen; für alle gibt es nur eine Kraft zur Errettung, die Kraft Gottes, und diese Kraft ist das Evangelium. Deshalb muss es allen verkündigt werden; zwar den Juden, die das Gesetz und die Verheißungen hatten, zuerst; aber auch die Grie­chen hatten Anspruch auf dessen Verkündigung.

Das Gesetz hätte die Kraft des Menschen sein können, wenn der Mensch zu dessen Erfüllung fä­hig gewesen wäre. Jetzt aber gebührt aller Ruhm Gott. Es ist "das Evangelium Gottes" und ist auch "die Kraft Gottes zum Heil". Der Mensch hat kein Verdienst und keinen Ruhm. Das Evangelium bringt eine Errettung, deren Quelle und Macht al­lein Gott ist. Der Mensch hat nichts dazu getan und kann auch nichts dazu tun. Gott ist in Seiner Macht und Liebe dazwischengetreten, um nach der Kraft, die in Ihm ist, den Sünder zu erretten, und darum ist und bleibt es auch allein das Werk Gottes. Der Sünder wird dieser Errettung durch Glauben teil­haftig, weil jede Offenbarung Gottes nur durch den Glauben erlangt werden kann. Es gibt nun aber, wie wir weiter sehen werden, eine besondere Ur­sache, warum das Evangelium die "Kraft Gottes zum Heil" ist.

Im Evangelium "wird die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart" (Vers 17)—die Gerechtigkeit, die in Christus schon befriedigt ist, und welche rechtfertigt, anstatt zu verdammen. Der Mensch hat keine Gerechtigkeit; er hat nur Sünde, und wenn er als Sünder vor Gott erscheinen muss, so wird das Ge­richt ihn treffen. Gott offenbart nun im Evangelium eine positive Gerechtigkeit — eine Gerechtigkeit, die Christus an unserer Statt getroffen hat und die durch Seinen Tod und Seine Auferstehung uns ge­schenkt werden kann. Es ist die Gerechtigkeit Got­tes, vollkommen wie Er selbst — nach Seinem eignen Herzen. Und diese Gerechtigkeit wird ge­offenbart aus Glauben, d. h. auf dem Grundsatz des Glaubens (Vers 17).

Im Alten Testament offenbarte Gott Seine Ge­rechtigkeit im Gesetz oder auf dem Grundsatz der Werke; aber alle, die unter dem Gesetz waren und diese Gerechtigkeit durch Gesetzeswerke zu erlan­gen suchten, kamen unter Fluch und Tod. Die Ge­rechtigkeit im Gesetz fand im Menschen keine Erfüllung, und darum verurteilte und tötete sie ihn. Die Gerechtigkeit Gottes aber, geoffenbart auf dem Grundsatz des Glaubens hat in Christus eine voll­kommene Erfüllung gefunden; sie ist in Ihm, dem zweiten Adam, völlig befriedigt und verherrlicht worden. Deshalb verurteilt und tötet diese Gerech­tigkeit den Glaubenden nicht, sondern sie bewahrt ihn und ist sein Teil. Er hat nicht nötig, Anstren­gungen zu machen, um sie zu erringen, sondern er empfängt sie ganz umsonst.

Wäre die Gerechtigkeit auf dem Grundsatz der Werke geoffenbart worden, so würde nur der Ge­rechte daran teilhaben; jetzt aber, da es auf dem Grundsatz des Glaubens ist, gehört sie dem Glau­benden "geoffenbart aus Glauben zu Glauben". Der Glaube ist der Anfang und das Ende dieser Gerechtigkeit. Sie ist, ohne das geringste Dazutun des Menschen, von Anfang bis zu Ende das Werk Gottes und ist dem Glauben geoffenbart. Der Jude ist nicht mehr als der Heide – beide stehen auf ein und demselben Boden, und vermittelst des Glau­bens ist beiden der Zutritt zu dieser Gerechtigkeit, die auf dem Grundsatz des Glaubens ist, geöffnet. Der Glaube ist für beide der einzige Weg, um zu dieser Segnung, die völlig von Gott ist, zu gelan­gen. Dies bekräftigt und bestätigt selbst der jü­dische Prophet, indem er spricht "Der Gerechte aber wird aus Glauben leben" (Hab. 2, 4).