Die alte und die neue Natur (2. Brief)

Lieber ...,

lass mich noch etwas bei den Segnungen verweilen, die dir selbst und auch anderen daraus erwachsen, wenn du gleich von Anfang an mit Entschiedenheit des Herzens dem Herrn anhängst und Ihm treu nachfolgst. Die Folgen können nicht überblickt werden.

Deine große Freude über die Gewissheit der Vergebung deiner Sünden und über deine Errettung ist natürlich und sehr berechtigt. Aber darin liegt noch keine Kraft. Die Freude am Herrn, und Er selbst ist unsere Stärke {vgl. Neh. 8,10; Ps 81,1}. Viele junge Christen meinen, weil die freudigen Gefühle ihr Herz jetzt ganz in Anspruch nehmen, dass bei ihrer Bekehrung auch ihr Herz in sich heilig geworden sei. Aber das ist eine Täuschung, die für sie verhängnisvoll werden kann. Darum sagt der Apostel: "Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst." (1. Joh. 1,8.) Beachte: Der Apostel spricht hier nicht von "Sünd en ", sondern von "Sünd e ". Darunter versteht er, wie auch oft der Apostel Paulus, unsere geerbte, gefallene, sündhafte Natur, die bildlich auch "Fleisch" {z. B. Röm 8,6-7; Eph 2,3} oder "die Sünde im Fleisch" {Röm 8,3} genannt wird. Wenn es sich um unsere Sünden handelt, d. h. um unsere Vergehungen und Missetaten, so wissen wir, dass sie durch das Blut Jesu Christi alle auf ewig weggetan worden sind als wir uns zum Herrn bekehrten. Derselbe Apostel Johannes schreibt daher: "Ich schreibe euch, Kinder, weil euch die Sünden vergeben sind um Seines Namens willen." (1. Joh 2,13). Und Gott sagt von den Gläubigen klar und bestimmt: "Ihrer Sünden und Gesetzlosigkeiten werde Ich nie mehr gedenken." (Heb 10,17).

Also sind keine Sünden mehr auf dir, aber die Sünde (die alte Natur) ist noch in dir. Ja, noch mehr: Du erfreust dich jetzt der Vergebung deiner Sünden. Aber die Wurzel des Bösen, das deine Sünden hervorbrachte ist nicht nur in dir, sie wird auch in dir bleiben, solange du in diesem deinem Leib der Sünde und des Todes bist. Darum wache, sonst "betrügst" du dich, wie der Apostel sagt. Diese alte Wurzel kann nie gute Frucht hervorbringen; nur die neue Natur bringt Gott Frucht.

Diese neue Natur, das göttliche, ewige Leben, wohnt jetzt in dir durch den Glauben an den Herrn Jesus Christus. "Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben". (Joh. 3,36.) So sagt der Herr selbst {in Joh 6,47; in Joh 3,36 spricht Johannes der Täufer}. Und der Apostel Petrus schreibt an die Gläubigen: Ihr seid "wiedergeboren ... durch das lebendige und bleibende Wort Gottes," (1. Petr 1,23; lies dazu Jak. 1,18.) Nähre und pflege diese neue Natur! Das ist nötig. Christus, der dein Leben ist, ist auch die Nahrung für dieses neue Leben. Beschäftige dich viel mit Ihm; betrachte Ihn, so nährst du dich von Ihm. Er sagt: "Ich bin das Brot des Lebens." (Joh. 6,35.48.) Wenn du so in praktischer Verbindung mit dem Herrn bleibst und Er deine Speise ist, wird die Wurzel des Bösen in dir (die alte Natur) sich nicht regen oder doch keine Macht über dich erlangen. Wenn sie wirkt, wirst du es gleich entdecken und diese Keime verurteilen. Sie können dann keine Schösslinge treiben und böse Früchte hervorbringen, durch die der Heilige Geist betrübt und Gott so sehr verunehrt wird.

Obwohl also die alte Natur in dir ist, so sollst du dich doch nicht mit ihr, sondern mit Christus beschäftigen. Er ist die Quelle dieses neuen Lebens. Je mehr du dies tun wirst, wird auch dein Friede und deine Freude gegründeter und tiefer und Christus selbst immer mehr der Zweck und das Ziel deines Lebens werden.

Dann sei dir noch eine andere wichtige Wahrheit mitgeteilt, die dir zum großen Trost sein wird: Die Wurzel des Bösen in dir ist vor Gott im Opfertod von Jesus Christus richterlich weggetan. Sie ist verurteilt {Röm 8,3} und somit für den Glauben beseitigt. Jesus starb nicht nur für unsere Vergehungen, sondern auch für uns selbst als gefallene Kinder Adams. Der Apostel sagt: „da wir dieses wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist." (Röm. 6,6.) Und weiter: Ihr seid "mit Christus gestorben." (Römer 6,8; siehe auch Kolosser 3,3.)

Dies darfst du nicht erst durch die Erfahrung wahr machen wollen; es ist eine gesegnete Tatsache , die du durch den lebendigen Glauben ergreifen und durch den Heiligen Geist offenbaren sollst. Darum steht geschrieben: "Haltet dafür, dass ihr der Sünde tot seid (d. i. glaubt es, denn ihr seid es), Gott aber lebend in Christus Jesus." (Röm. 6,11.) Das Kreuz hat dem "alten Menschen" vor Gott ein Ende gemacht; der Tod war das einzige Mittel für ihn; er ist unverbesserlich. Auf dieser Tatsache fußt der Gläubige; und wenn er auch weiß und erfährt, dass "die alte Natur" noch in ihm ist, so weiß er doch, dass sie richterlich vor Gott beseitigt, und er als der "alte Mensch" gestorben und begraben ist, wovon auch die biblische Taufe durch Untertauchen ein Bild ist. Und weil der "alte Mensch" vor Gott beseitigt ist, haben wir kein Recht, ihm in irgend einer Weise zu folgen, weder innerlich noch äußerlich; wir können und sollen nun "in Neuheit des Lebens" wandeln {Röm 6,4}.

{Der "alte Mensch" ist nicht genau dasselbe wie die "Sünde" oder das "Fleisch". Der "alte Mensch" ist das, was wir in Adam waren, alles was uns als von Fleisch und Sünde gekennzeichnet ausmachte. Das "Fleisch" ist das böse Prinzip in uns. Der "alte Mensch" ist von uns abgelegt worden (Eph 4,22; Kol 3,9). Die "Sünde" hingegen ist und wohnt "in" unserem sterblichen Leib (Röm 6,12; 7,17.20; vgl. Gal 5,17 und 1. Joh 1,8). Der "alte Mensch" ist "mitgekreuzigt worden", nämlich mit Christus am Kreuz (Röm. 6.6). Der "Leib (d. h. die Gesamtheit, das gesamte Machtsystem) der Sünde" sollte dadurch vor Gott außer Geltung gesetzt werden ("abgetan" werden).}

Diese Dinge sind natürlich nicht alle in einem Augenblick zu lernen. Aber was mir für dich am Herzen liegt, lieber ..., ist, dass du gleich von Anfang an treu mit dem Herrn wandelst und an Seiner Hand Tag für Tag durchs Leben gehst. Dann wirst du mit Ihm alles das erfahren und lernen, was jeder wahre Christ erfahren und lernen muss. Wie demütigend und schmerzlich wäre es, wenn du es erst durch Straucheln und Fallen lernen und so erfahren würdest, dass dein Herz - auch nach der Bekehrung noch - in sich die Wurzel des Bösen hat und zu allem Bösen fähig ist. Wie traurig, ja, wie schrecklich wäre es, wenn du auch die Welt in ihrer List und Satan in seiner List und Tücke erst durch eigene Untreue und schwere Niederlagen kennen lernen müsstest! Wandelst du aber mit Gott, so machst du in Seiner gesegneten Gemeinschaft, also auf den Wegen des Glaubens und der Treue, alle nötigen Erfahrungen des neuen Lebens. Auch dann rufen dieser Erfahrungen noch tiefe Übungen des Herzens und ernste Seelenübungen hervor; aber sie führen dich doch nicht an den Rand der Verzweiflung, wohin mancher wahrhaft Bekehrte gekommen ist, und vor allem machst du deine Erfahrungen dann nicht auf Kosten der heiligen Ehre Gottes und deines teuren Friedens.

Ja, gib nie Veranlassung, dass Gott und Seine Sache durch dich verlästert wird! Die Welt soll nie im Blick auf Untreue bei dir höhnend sagen dürfen: "Seht, das sind die Christen, so machen sie es!" Es sei dein tägliches Anliegen und Flehen, dass der Herr durch dich verherrlicht wird. Sei viel mit Gott allein, und lass es deine tägliche Sorge sein, dass nichts und niemand zwischen Gott und deine Seele tritt. Vergiss auch nicht, dass du ab jetzt alle deine Pflichten, heißen sie, wie sie wollen, als ein zu Gott Bekehrter, als Gottes Kind und Zeuge erfüllst. Der Herr sei mit dir! Es soll mich freuen, dir in einigen weiteren Briefen noch weiter behilflich sein zu können.

Im Herrn dir innig verbunden,

dein ...