Kapitel 1

Titus 1, Vers 1:

Paulus, Knecht Gottes, aber Apostel Jesu Christi, nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist

Paulus stand Gott gegenüber als ein "Sklave", rechtmäßig erkauft durch das Blut des Lammes, als ein Mensch, dessen Wille in völliger Harmonie in dem Willen Gottes aufgeht. Dieser kostbare Ehrentitel "Sklave Gottes" ist das Teil aller Gläubigen und bezeichnet zugleich die Tat sache, dass weder Satan noch die Welt irgend ein Anrecht auf das Leben eines Kindes Gottes hat. Wie ein Sklave nur dazu da ist, auf den Wink des Gebieters zu harren, dem er mit Leib und Leben für Gegenwart und Zukunft gehört, demgegenüber er kein anderes Recht hat, als das Recht des Dienens und der Hingebung, so der Gläubige. Wir dienen jetzt im Glauben; aber wenn Gott uns an das Ziel gebracht haben wird, in die Stadt Gottes, dann heißt es: "Seine Knechte werden Ihm dienen, und sie werden Sein Angesicht sehen, und Sein Name wird an ihren Stirnen sein". (Offenb. 22, 3-4.) - Der andere Titel des Paulus, "Apostel Jesu Christi", ist hier durch das "aber" zu dem vorhergehenden in Gegensatz gestellt; obwohl er ein Sklave ist, ist er doch ein Gesandter des höchsten Gottes, der seine Botschaft mit göttlicher Autorität ausrichtet. Die menschliche Anmaßung muss sich beugen, wenn ein Botschafter Jesu Christi bezeugt, was der Herr zu sagen hat. Die Welt mochte die Botschaft bestreiten, aber "nach dem Glauben der Auserwählten Gottes" und nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist, bestand kein Zweifel an der göttlichen Legitimation dieses Apostels. Es gibt eine vermeintliche Erkenntnis oder Wissenschaft, die dem Irrtum unterworfen ist. Es ist die menschliche Philosophie, die trü gerisch ist. (Vergl. Kol. 2, 8.) Diese menschliche Philosophie bringt nicht Gottseligkeit, sondern Gottesfeindschaft hervor! Aber die Erkenntnis der Wahrheit, die in Gottseligkeit und Herzensfrieden ihre Bestätigung findet, trägt den Stempel ihres göttlichen Ursprungs

Titus 1, Verse 2-3:

in der Hoffnung des ewigen Lebens, das Gott, der nicht lügen kann, verheißen hat vor ewigen Zeiten; *zu seiner Zeit aber hat er sein Wort offenbart durch die Predigt, die mir anvertraut worden ist nach Befehl unseres Heiland-Gottes

Paulus vollführte seinen Dienst in der Hoffnung des ewigen Lebens. Dieses ewige Leben, von Gott verheißen vor Beginn aller Zeitalter der Schöpfung und der Menschheit, war ein Geheimnis, das früher nicht auf der Erde kundgeworden war. Es ist "das Geheimnis der Hoffnung der Herrlichkeit", von dem Paulus Kol. 1, 26. 27 redet, das allen Nationen nun verkündigt werden sollte. (Vergl. auch Eph. 3, 3-7.)

Man stelle sich vor, wie in der römischen Kulturwelt jener Zeit niemand war, der eine Hoffnung des ewigen Lebens hatte! Man konnte von Spanien bis Kleinasien reisen, von Britannien bis Nordafrika und fand keinen Menschen, der davon etwas ahnte. Mit der königlichen Gnadenbotschaft seines Gottes zog Paulus als ein Gesandter Jesu Christi durch die weiten Länder, um zu verkündigen: Gott lässt allen Menschen ewiges Leben anbieten. Darum sagt hier das Wort (indem es den Vater und den Sohn in einen Namen zusammenfasst) "nach dem Befehl unseres Heiland-Gottes". E inen Heiland-Gott hatte diese verlorene Sünderwelt nötig, und Er ist offenbart, der rettende, erlösende Gott aller Gnade, in Christus, Seinem Sohn!

Titus 1, Vers 4:

Titus, meinem echten Kind nach unserem gemeinschaftlichen Glauben: Gnade und Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Heiland!

Titus, der älteste Mitarbeiter und Reisegefährte des Paulus, war ein begabter und eifriger Diener des Evangeliums und verdiente unbedingtes Vertrauen. (2. Kor. 8, 16-19; 12, 18.) Paulus ver wendete ihn daher zu wichtigen Sendungen. Etwa im Jahre 57 ging Titus nach Korinth, um sich von den Wirkungen des ersten Korintherbriefes von Paulus zu überzeugen. Er überbrachte dem Apostel gute Nachricht nach Mazedonien (2. Kor. 2, 12) und nahm von dort den zweiten Brief an die Korinther mit zurück. Nach etwa sechs Jahren (im Jahr 61) finden wir ihn auf der Mittelmeerinsel Kreta. Während der zweiten Gefangenschaft des Paulus war Titus eine Zeitlang in Rom und ging von dort nach Dalmatien (2. Tim. 4, 10. Dalmatien ist das Küstenland östlich des adriatischen Meeres; es war damals römische Provinz.) Titus soll dann später nach Kreta zurückgekehrt und als Aufseher in den kretischen Gemeinden im Alter von 94 Jahre gestorben sein.

Der Dienst des Paulus neigte sich dem Ende zu, und mit besonderer Zuneigung denkt er an diesen treuen jüngeren Bruder, den er augenblicklich in einem schwierigen Dienst auf Kreta wusste. Paulus nennt den Titus sein echtes Kind. Titus war durch den Dienst des Paulus nicht nur zum Glauben gekommen, sondern auch durch ihn unterwiesen und für den Dienst erzogen worden. Es sprechen manche Diener des Evangeliums gern von "ihren geistlichen Kindern" - aber das ist in vielen Fällen nicht zutreffend. Mancher, der durch unseren Dienst am Wort den Herrn fand, ist darum noch nicht unser Kind. Da können viele Personen und Umstände mitgewirkt haben. Die Frage ist auch noch, inwieweit ein Evangelist solchen Seelen nach ihrer Bekehrung ein wahrer Vater in Christus sein kann. - Paulus und Titus standen in allen Punkten des Glaubens auf gleichem Boden, darum sagt Paulus: "nach unserem gemeinschaftlichen Glauben". Titus brauchte auf seinem Weg täglich Gnade und Frieden. Wie sehr brauchen auch wir diese kostbaren Gaben von oben täglich neu!

Titus 1, Verse 5-9:

Deswegen ließ ich dich in Kreta zurück, damit du das, was noch mangelte, in Ordnung bringen und in jeder Stadt Älteste anstellen möchtest, wie ich dir geboten hatte: 6 Wenn jemand untadelig ist, der Mann einer Frau, der gläubige Kinder hat, die nicht eines ausschweifenden Lebens beschuldigt werden oder zügellos sind. 7 Denn der Aufseher muss untadelig sein als Gottes Verwalter, nicht eigenmächtig, nicht zornmütig, nicht dem Wein ergeben, nicht ein Schläger, nicht schändlichem Gewinn nachgehend, 8 sondern gastfrei, das Gute liebend, besonnen, gerecht, fromm, enthaltsam, 9 anhängend dem zuverlässigen Wort nach der Lehre, damit er fähig sei, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen als auch die Widersprechenden zu überführen.

Der Apostel zählte es zur "Ordnung" der christlichen Versammlungen oder Gemeinden, dass in jeder Stadt Ä lteste angestellt seien. Er nennt sie in Vers 7 "Aufseher", griechisch "episcopus", woraus das Wort "Bischof" entstanden ist. Aber diese Ältesten oder Aufseher waren etwas ganz anderes als die Bischöfe, denen wir später in der Kirchen geschichte begegnen. Während diese häufig in Hoch mut und Selbstsucht über die Gemeinde herrschten und sie als ihr Besitztum ansahen, über das sie in Willkür verfügen konnten, dienten jene Ältesten der ersten Zeit in großer Demut, Liebe und Selbst losigkeit ihren Mitgläubigen und halfen ihnen zu innigerem Anhangen am Herrn Jesus! Der Regel nach gab es mehrere Älteste, besonders in den größeren Versammlungen, z. B. in Ephesus. (Apg. 20, 17-37.)

Man möge aufmerksam prüfen, wie hohe Eigenschaften das Wort Gottes von einem Ältesten oder Aufseher fordert. Wie wenige Gläubige entsprechen diesen Anforderungen! (Vergl. auch 1. Tim. 3, 1-7.) Dennoch wird der Herr, wenn man sich Ihm von Herzen unterwirft, solche Männer schenken. Wenn diese auch heute nicht den Titel eines Ältesten oder Aufsehers führen mögen, werden doch treue Gläubige da sein, welche eine von Gott gegebene Gabe und vor allem die nötige Demut, Selbstlosigkeit und Treue besitzen, um diesen Dienst der Liebe, der Aufsicht und der Ermahnung unter ihren Brüdern und Schwestern zu tun

Titus 1, Verse 10-14:

Denn es gibt viele zügellose Schwätzer und Betrüger, besonders die aus der Beschneidung, 11 denen man den Mund stopfen muss, die ganze Häuser umkehren, indem sie schändlichen Gewinnes wegen lehren, was sich nicht geziemt. 12 Es hat einer von ihnen, ihr eigener Prophet, gesagt: "Kreter sind immer Lügner, böse, wilde Tiere, faule Bäuche." 13 Dieses Zeugnis ist wahr; aus diesem Grund weise sie streng zurecht, damit sie gesund seien im Glauben 14 und nicht achten auf jüdische Fabeln und Gebote von Menschen, die sich von der Wahrheit abwenden.

Dies Zeugnis über die Kreter ist bemerkenswert. Unter ihnen sich damals besonders einige Juden, die eine Scheinbekehrung erlebt haben mochten, wichtig gemacht. Fürst Bismarck führte einmal Vers 12 als Grund an, weshalb er außerstande sei, sich für die Kreter zu erwärmen. Offenbar spricht dies Bibelwort dafür, dass in etlichen Völkern eine ganz besondere Sündenmacht und Sündenveranlagung vorliegt. So kann man zweifellos sagen, dass Griechen und Kreter eine natürliche Veranlagung zur Lüge und List haben, die in anderen Nationen nicht so ausgeprägt gefunden wird! - Was für Schaden zügellose, anmaßende Schwätzer unter unbefestigten Gläubigen anrichten können, ist unabsehbar. Es ist leider eine Tatsache, dass die meisten Gläubigen sehr wenig, fast gar keine Unterscheidungsgabe haben und sich einem anmaßenden Mann nur allzu leicht beugen. In Kreta wurden damals ganze Häuser, Eltern und Kinder, Herrschaft und Dienstboten, in Verwirrung gebracht - und dabei spielte das Geld mit! (V. 11.) Auch heute kann man nicht jedem, der im Namen Jesu kommt, Haus und Herz öffnen. Es laufen auch heute solche Prediger herum, die imstande sind, ganze Häuser umzukehren und gesegnete Gemeinschaften zu ruinieren. Deshalb ist die ernste Ermahnung für alle Gläubigen am Platz, gesund zu sein im Glauben. Gesunder Glaube hält am unantastbaren Worte Gottes fest, indem er gründlich in es eindringt und sich bewährt durch ein Leben der Wahrheit und Treue, der Demut, des Fleißes und der Nüchternheit!

Titus 1, Verse 15-16:

Den Reinen ist alles rein; den Befleckten aber und Ungläubigen ist nichts rein, sondern befleckt ist sowohl ihre Gesinnung als auch ihr Gewissen. 16 Sie geben vor, Gott zu kennen, aber in den Werken verleugnen sie ihn und sind gräulich und ungehorsam und zu jedem guten Werk unbewährt.

Den Reinen ist alles rein - in dieser Tatsache liegt der Grund, weshalb lautere Kinder Gottes, die allen, die im Namen Jesu kommen, ohne Misstrauen begegnen, so oft von christlichen Schwindlern überlistet werden. Von solchen christlichen Schwindlern ist hier die Rede; und darum hat die ganze Stelle für die Gläubigen der Gegenwart eine hohe, praktische Bedeutung. Wenn es schon damals schwierig war, die Gemeinde der Gläubigen vor solchen Leuten zu bewahren, wieviel mehr heute! Eine befleckte Gesinnung und ein beflecktes Gewissen, heuchlerische Gottesgemeinschaft, gräulich, ungehorsam, zu jedem guten Werke unbewährt – was für eine Beschreibung dieser Personen! Es ist der Heilige Geist, der diese Darstellung gibt, und wir finden sie in einer erschreckenden Weise bestätigt. Im zweiten Petrusbrief und im Judasbrief finden wir noch erschütterndere Darstellungen davon, was für verworfene, schamlose Menschen unter den Gläubigen ihr finsteres Werk und Wesen im Auftrage Satans treiben. Dies alles sind keine Phantasiegebilde, sondern Tatsachen, die immer schrecklicher hervortreten, je mehr die Zeit der Gnade dem Ende zueilt. Dennoch wird der Herr die Aufrichtigen bewahren; möchten wir nur wachen, dass wir vor dem Auge des Herrn als "Reine" dastehen, die das Siegel Gottes tragen! (Vergl. 2. Tim. 2, 19.)