Der Brief an die Römer

Betrachtung über den Brief des Apostels Paulus

Band I

Von H. C. Voorhoeve

Hinweis zum Copyright:
Diese Bibelauslegung erschien gedruckt um 1950 im Verlag R. Müller-Kersting, Zürich-Höngg, Limattalstr. 28.
Copyright heute: Beröa-Verlag, Zellerstrasse 61, CH-8038 Zürich, Schweiz .
Der html-Text wurde mit freundlicher Genehmigung des Beröa-Verlags erstellt von Martin Arhelger ( arhelger@gmx.de ). Alle Rechte vorbehalten. Der html-Text wurde auf neue deutsche Rechtschreibung umgestellt.

 
"Der Gerechte wird aus Glauben leben"
Römer 1,17

Kurze Einführung

A. Allgemeine Einleitung. Kapitel 1, 1 - 17

1. Anschrift des Briefes — Die apostolische Autorität des Paulus (Verse 1 - 7)

2. Paulus wünscht die frohe Botschaft auch in Rom zu verkündigen (Verse 8 -17)

B. Der Mensch benötigt das Evangelium Gottes. Kapitel 1, 18 - 3, 20

Die Ungerechtigkeit aller Menschen:

1. der Heiden (Nationen),

a) Götzendiener (Kap. 1, 18 - 32).

b) Die Ungerechtigkeit der religiösen Menschen (Kap. 2, 1 - 16).

2. Die Ungerechtigkeit der Juden (Kap. 2, 17 - 3, 8).

3. Die Ungerechtigkeit der ganzen Welt, die vor Gott schuldig befunden wird (Kap. 3, 9 - 20).

C. Die Entfaltung des Evangeliums Gottes. Kapitel 3, 21 - 8, 39.

I. Die Vergebung in bezug auf die Vergangenheit - Die Gerechtigkeit Gottes hinsichtlich der Sünden.

1. Die Offenbarung und die Grundlage der Gerechtigkeit Gottes in der Versöhnung durch Christus (Kap. 3, 21 - 24).

2. Der Grundsatz der Gerechtigkeit ist Glaube, nicht Werke oder Gesetz (Kap. 3, 25 - 31).

3. Der Charakter der Gerechtigkeit vorgebildet in Abraham (Kap. 4, 1 - 22).

4. Die Grundlage der Gerechtigkeit in der Auferstehung und die vielfältige Segnung derer, die gerechtfertigt sind (Kap. 4, 23 - 5, 11).

II. Kraft für die Gegenwart - Gottes Gerechtigkeit hinsichtlich der Sünde. Kap. 5,12 - 7, 25. 26

1. Die beiden Menschen a) Adam: Sünde und Tod, b) Christus: Gerechtigkeit und Leben (Kap. 5,12 -21)

2. Die beiden Herrscher (Sünde oder Gott); der eine Dienst bringt den Tod, der andere die Gerechtigkeit (Kap. 6, 1 - 23).

3. Das Geheimnis der Kraft.

III. Verheißungen für die Gegenwart und für die Zukunft - Die Gerechtigkeit Gottes gibt dem Gläubigen jetzt eine Stellung in Christus und einen Ausblick für die Zukunft. Kapitel 8, 1 - 39.

1. Keine Verdammnis — Das Leben im Geist und der Geist betrachtet als Leben (Verse 1 - 13).

2. Sohnschaft und Erbe — Hoffnung der endgültigen Erlösung des Leibes (Verse 14 - 25).

3. Die innere Sicherheit ist gegründet auf a) Die Vertretung des Heiligen Geistes (V. 26 - 27). b) Das Wort Gottes (Verse 28 — 34). c) Die Liebe des Christus (Verse 35—39).

D. Gottes Gerechtigkeit hinsichtlich Seiner früheren Verheißungen für Israel. Kapitel 9, 1 - 11, 36.

1. Gottes Unumschränktheit, wie sie im Alten Testament in Geschichte und Prophezeiung dargestellt wird (Kap. 9, 1 - 33).

2. Gottes Gerechtigkeit und Heil durch, Glauben wird jetzt allen Menschen verkündet (Kap. 10, 1 - 21).

3. Einzelne werden aus Israel durch, das Evangelium gerettet (Kap. 11, 1 - 10).

4. Die Nationen werden auf den Ölbaum der Verbiegung eingepfropft (Kap. 11, 11 - 25).

5. Die nationale Rettung Israels (Kap. 11, 26 - 32).

6. Gott wird gepriesen für Seine Wege und Seine Weisheit (Kap. 11, 33 - 36).

E. Die praktische Anwendung des Evangeliums. Kapitel 12, 1 - 15, 33.

1. Gott gegenüber (Kap. 12, 1 - 8)

2. Den Menschen gegenüber (Kap. 12, 9 - 15, 7)

a) Gegenüber den Mitgläubigen (Kap. 12, 9 - 16).

b) Gegenüber allen Menschen (Kap. 12, 17 - 13,14).

c) Gegenüber schwachen Brüdern (Kap. 14, 1 - 15, 7).

3. Paulus als Diener des Evangeliums für die Nationen (Kap. 15, 8 - 33).

F. Schlussworte. Kapitel 16, 1 - 27.

1. Persönliche Grüße (Kap. 16, 1 - 16; 21 - 24).

2. Warnung an solche, die in der Gemeinde Zwiespalt anrichten (Kap. 16, 17 - 20).

3. Lobpreisung Gottes in bezug auf die Offenbarung des Geheimnisses (Kap. 16, 25 - 27).


Kurze Einführung

In keinem der paulinischen, noch irgend einem Briefe der übrigen Apostel wird uns die Grundlage unserer Beziehungen zu Gott auf eine so deutliche und ausführliche Weise dargestellt, wie in dem Brief an die Römer. Der Apostel beginnt mit der Sünde des Menschen. Er wendet sich direkt an dessen Gewissen, entwickelt darnach die persönliche Rechtfertigung des Sünders und zeigt zugleich, wie der Gläubige von der Sünde völlig freigemacht ist und worin der Charakter dieser Freiheit besteht.

Um aber diesen Brief in seinem Zusammenhang besser verstehen zu können, ist es nötig, sich ein genaues Bild des Zustandes der Versammlung in Rom zu machen. Wahrscheinlich verdankt die Ver­sammlung in Rom ihren Ursprung der dortigen jü­dischen Synagoge, wie sie damals in jeder Stadt be­standen (Apg. 28, 17). Meistens wurde dort das Evangelium zuerst den Juden verkündigt und erst nachher den Heiden. Juden und Heiden hatten in größerer Zahl das Evangelium aufgenommen. (Vergl. Römer 16.) Somit setzte sich die Versamm­lung in Rom aus Christen zusammen, die teils aus dem Judentum, teils aus den Nationen stammten. Der Brief selbst gibt uns noch mehr Belehrung hier­über. Es scheinen zwischen Juden und Heiden ge­wisse Streitigkeiten bestanden zu haben. Jene, sich ihrer fleischlichen Vorrechte rühmend, waren bestrebt, jüdische Grundsätze einzuführen, und diese, jene Vorrechte ganz und gar gering schätzend, stan­den in Gefahr, eine fleischliche Freiheit aufzurich­ten. Solche Zustände gaben nicht nur zu allerlei lieblosen Reibungen Anlass, sondern, was noch weit schlimmer war, sie waren geeignet, die Grundlage der Wahrheit ins Wanken zu bringen. Der Apostel erkannte diese Gefahr und trat ihr als treuer Die­ner der Wahrheit mit einer systematischen Darstel­lung der Heilslehre entgegen — einer Darstellung des verlorenen Menschen, gerechtfertigt aus Glau­ben, freigemacht von der Sünde, vom Gesetz und von allen feindlichen Mächten. Jeder Ruhm des Menschen ist völlig ausgeschlossen, sei er Jude oder Heide, und die Verherrlichung Gottes wird aufs klarste ans Licht gestellt.

Nach einer kurzen Einleitung (Kap. 1, 1—16), welche uns die frohe Botschaft der Gnade darstellt, beginnt der Apostel sofort die Sünden der Nationen und der Juden aufzudecken. Er zeigt die Verant­wortlichkeit und den gänzlich verdorbenen Zustand des Menschen. Mag er unter Gesetz oder ohne Ge­setz, Jude oder Heide sein—er ist verloren (Kap. 1, 16—3, 20).

Am Ende dieser Beschreibung offenbart er das alleinige und allgenugsame Heilmittel — das Blut Christi. Er stellt indessen einen Unterschied in der Anwendung dieses Mittels fest. Die Sünden der Gläubigen des Alten Testamentes hat Gott unter Seiner Nachsicht hingehen lassen im Blick auf das Kreuz Christi, währenddem in der jetzigen Zeit Gottes vollkommene Gerechtigkeit in diesem Werk geoffenbart ist. Der Mensch, ob Jude oder Heide, kann daher nur durch das Werk Christi gerecht­fertigt werden. Diese Wahrheit schaltet alle An­sprüche der Juden auf ihre vermeintlichen Vorrechte gänzlich aus.

Die Juden rühmten sich aber nicht nur des Ge­setzes, sondern auch ihrer fleischlichen Abstammung von Abraham. Deshalb beweist der Apostel jetzt, dass sowohl Abraham als auch David bezeugten: Der Mensch wird nur aus Glauben gerechtfertigt und findet sein Glück allein in der Vergebung. Diese Berufung auf Abraham gibt nun Anlass zur Ent­faltung eines neuen und höchst wichtigen Grund­satzes, nämlich zu der Einführung des Menschen in einen ganz neuen Zustand vor Gott durch die Auf­erstehung—in einen Zustand, wo die Sünde nicht mehr herrscht, wo der Mensch gerechtfertigt ist, nicht nur, indem er Vergebung seiner Sünden hat, sondern auch, weil er vor Gott angenehm ist (Kap. 4).

Diese Auferstehungslehre wird angewendet. In Kapitel 5 auf unsere Rechtfertigung; in Kapitel 6 auf das neue Leben in Christo, des­sen Kraft sich darin offenbart, dass wir uns der Sünde für gestorben halten, und in Kapitel 7 auf die Befreiung vom Gesetz.

In Kapitel 8 endlich wird uns der Zustand des befreiten Christen vorgestellt. Seine Befreiung be­ruht allein auf dem Werke Christi und seine Freude ist eine Folge davon, weil er des Lebens Christi teilhaftig geworden ist. Die Erlösung des Christen erstreckt sich auch auf seinen Leib, der einst bei der Wiederkunft Christi auferweckt wird.

In dem Vorhergehenden hatte der Apostel be­wiesen, dass die Juden, unter dem Gesetz betrachtet, nichts zu ihrer Rechtfertigung aufbringen konnten. Das Gesetz verdammte sie sogar. Was aber konnte nun in betreff der Verheißungen gesagt werden? – Gott hatte die Verheißungen ohne irgendwelche Bedingungen gegeben. Diesen Gegenstand behan­delt der Apostel in Kapitel 9 – 11.

In Kapitel 9 zeigt er, dass die Juden, wiewohl Abrahams Samen, wegen ihrem Unglauben und Ungehorsam mit Recht von Gott verworfen werden konnten, wie ja auch Ismael und Esau, obwohl demselben Vater entsprossen, von den Vorrechten ausgeschlossen waren, indem diese dem Jakob und seinem Samen zuerkannt wurden. Sie mussten folg­lich die Unumschränktheit Gottes anerkennen; und Gott war deshalb auch vollkommen frei, die Weis­sagungen der Propheten in bezug auf die Berufung der Nationen in Erfüllung zu bringen.

In Kapitel 10 zeigt er, dass die Juden, wie die Propheten geweissagt hatten, sich an dem Stein des Anstoßes gestoßen und sich der Gerechtigkeit Got­tes nicht unterworfen hatten. Ist nun aber infolge­dessen das Volk ganz und gar verworfen? Gewiss nicht; denn in Kapitel 11 beweist der Apostel,

  1. dass ein Überrest vorhanden ist;
  2. dass die Berufung der Nationen bezweckte, die Juden zur Eifersucht zu reizen, und
  3. dass der Erretter aus Zion kommen werde.

Auf Grund der völligen Gleichschaltung der Ju­den und Nationen — beide befanden sich in ver­lorenem Zustande, beide benötigten das gleiche Mittel zu ihrer Rettung, und beide wurden Gerecht­fertigte aus Glauben in Christo — ermahnt sie jetzt der Apostel zur brüderlichen Eintracht, ja, in Ehr­erbietung einander zu übertreffen, auf dass jede Rei­bung zwischen Brüdern aus Juden und Nationen völlig verschwinde und eine gegenseitig herzliche Liebe sie verbinden möchte. Er fügt noch viele an­dere Ermahnungen hinzu, die unsern Wandel hie­nieden betreffen (Kap. 12 — 15) und schließt dann seinen Brief mit einer Reihe von Grüßen an mehrere Glieder der Versammlung in Rom, die sich durch, ihre Bewährung ausgezeichnet hatten und ihm per­sönlich bekannt waren (Kap. 16).

Was nun den Charakter des Evangeliums, das Paulus verkündigte, betrifft, so wird es nützlich sein, hier einige Worte darüber zu sagen.

Gleich nach seiner Berufung predigte er in Da­maskus Christus als den Sohn Gottes (Apg. 9, 20). Das bisherige Zeugnis der Apostel, wie wir in den ersten acht Kapiteln der Apostelgeschichte deutlich sehen, hatte den vom Volk Israel verwor­fenen und gekreuzigten, aber von Gott anerkannten und auferweckten Messias oder Gesalbten zum Gegenstand. Gott hatte Ihn auferweckt und "zum Herrn als auch zum Christus gemacht" (Apg. 2, 36), und das Volk Israel wurde durch die Ge­genwart und das Zeugnis des Heiligen Geistes auf­gefordert, Ihn in dieser neuen Stellung durch Buße und Glauben anzunehmen. Es war also ein Zeugnis, das sich auf das Verhältnis zwischen Gott und Seinem irdischen Volke bezog. Israel aber weigerte sich, Ihn anzunehmen und verwarf dieses Zeugnis des Heiligen Geistes in der Steinigung des Stepha­nus, eines Mannes voll Glaubens und Heiligen Geistes" (Apg. 6, 5; 7, 57 - 60). Damit hat Israel auch das letzte Zeugnis verworfen; es blieb ihm nur noch das Gericht übrig. Aber dieses Gericht ist noch nicht vollzogen. Obgleich Israel schon lange als Na­tion ganz und gar beiseite gesetzt ist, hat es dieses Endgericht immer noch zu erwarten. Nachdem Is­rael diese letzte Aufforderung in den Wind geschla­gen hatte, entrückte Gott den Paulus und offen­barte durch ihn ein neues Zeugnis, das dieser "sein Evangelium" nennt. Das Zeugnis, wozu Paulus als Apostel berufen wurde, hatte nicht Christus als Messias, sondern als Sohn Gottes zum Gegenstand. Es bezog sich nicht auf ein Verhältnis zwischen Gott und Seinem Volke, sondern auf das Verhältnis zwischen Gott und Seinen Kindern. Dieses Evange­lium ist es, das uns nun durch den Mund des Apo­stels Paulus in dem Brief an die Römer in vollster Klarheit geoffenbart wird.

Betrachten wir also unter der Erleuchtung des Heiligen Geistes den Inhalt dieses Briefes; Er allein kann uns das durch Ihn geschriebene Wort erklären.